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Mittwoch, 27. Juli 2011

Wenn Medien Erfüllungsgehilfen von Mördern werden

Nein, es hat sich nichts geändert. Nichts nach Erfurt, nichts nach Winnenden nichts nach anderen Verbrechen. Unaufhörlich schenken selbst seriöse Zeitungen dem Massenmörder von Oslo gigantische Aufmerksamkeit, wie in W&V berichtet. Und sie verteidigen in Kommentaren ihr Tun.

Eine Heroisierung des Täters diesen gewaltigen Ausmaßes hat es in Deutschland bisher kaum gegeben. Stets wird der Name des Massenmörders von Norwegen genannt, stets wird sein Konterfei hemmungslos gezeigt, groß, breit, fett, prominent, oft auf Titelseiten. Auch Fotos mit Waffen. "So wollte er gesehen werden", schrieb eine überregionale Zeitung aus Berlin. "Und wir geben ihm das Forum dafür", hätte der Text weiter lauten müssen.

Denn viele Medien verkennen ihre Verantwortung. Ihnen ist nicht bewusst, wie sie mit ihrer Berichterstattung die Opfer und ihre Angehörigen ohrfeigen. Ihnen ist nicht bewusst, dass sie das nächste große Verbrechen vorbereiten, weil potentielle Nachahmer auch gerne der Held auf Titelseiten sein wollen. Weil sie auch wollen, dass Intellektuelle sich ernsthaft mit ihren sogenannten Manifesten auseinandersetzen. Medien mutieren so zu primitiven Erfüllungsgehilfen von Massenmördern. Wenn es um PR geht, sind Medien zurecht sehr vorsichtig, sehr qualitätsbewusst. Wenn ein Mörder der Welt was sagen will, wird alles huldigend publiziert.

Dass sich die Medienmacher ihrer Macht nicht bewusst sind, ist geradezu symptomatisch für ihr Tun. Gerade Zeitungsjournalisten verhalten sich oft so, als hätten sie keine Leser mehr. Und denken, dass Mörderbilder und -worte eh via Internet verbreitet würden. Wow. Was für eine Haltung. Das ist in etwa so, als würden TV-Sender jetzt Hinrichtungen live im Fernsehen zeigen, weil die Bilder doch eh ins Internet gelangen. Und weil Hinrichtungen die Quoten erhöhen.

Dieses natürlich völlig überzogene Beispiel verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass Journalisten selektiv vorgehen müssen. Das aber können sie nur, wenn sie eine gute Ausbildung genossen haben. Darin liegt ein Teil des Problems der hemmungslosen, unreflektierten Berichterstattung: Statt Ausbildung bieten Redaktionen meist Ausbeutung. Junge Journalisten werden für den Einsatz gar nicht vorbereitet. Würden Feuerwehrmänner und -frauen für den Katastrophenfall so geschult wie Journalisten, würde jedes Haus abbrennen.

Es gibt aber auch Hoffnungsschimmer. Die FAS, also Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, hat am Sonntag unmittelbar nach dem Massenmord keinen Täter abgebildet oder zum Helden gemacht. Eine ganz bewusste Entscheidung, wie mir mitgeteilt wurde. Und selbst der skurrile Briefeschreiber Franz Josef Wagner schrieb in Bild: "Ich glaube, die höchste Strafe für den Attentäter wäre die Bedeutungslosigkeit. Nicht mehr über ihn berichten, seine Fotos nicht mehr zeigen, seine wirren Ideen nicht mehr im Internet zu lesen..."

Ob es nun Strafe für den Attentäter wäre, ist nicht der Punkt. Vielmehr geht es um die nächsten Attentate. Um die Abschaffung medialer Anreize, Massenmorde zu inszenieren. Beihilfe zum Mord ist strafbar. Nicht jedoch für Journalisten.

Donnerstag, 21. Juli 2011

Der Motivations-Loser

ProSiebenSat.1 lud zur "Summertime" in die Alte Kongresshalle nach München. 400 Gäste, Werbekunden und Mediaplaner, dazwischen ein paar Top Models gestreut, Moderatoren und sonstige Sternchen. Präsentiert wurde das Programm der kommenden Monate. The Voice etwa oder anderes völlig neues Casting. Oder Filme wie "die Rache der Wanderhure". Oder auch die "Heimkehr" von Harald Schmidt, der "stolz darauf ist, keine mediale Wanderhure zu sein".

Ein Mitarbeiter von ProSiebenSat.1 erlebte eine sonderbare Begegnung. Vor der Halle, beim Rauchen. "Hi!" "Ach du...?" Schnell stellte sich heraus, dass die beiden sich kennen. Von der Schule. 14 Jahre lang haben sie sich nicht mehr gesehen. Seit der Schulzeit in Neuss bei Düsseldorf. Der ProSieben-Mann hat seinen einstigen Mitschüler nicht so schnell erkannt. Klar, er war damals richtig fett. Heute nicht mehr. "Und was machst du hier?", wollte ProSieben wissen.

Der Ur-Schulfreund hatte keine Zeit mehr, er musste gleich auf die Bühne. Carl Werner hat nämlich gewonnen. Weil er verloren hat: 59 Kilo. Platz 1 bei der Sendung "The biggest Loser". Gratulation! Er hat es geschafft. Seither arbeitet er als Motivationstrainer.

Dienstag, 19. Juli 2011

BMW weiß, was Frauen wünschen

In Frauenzeitschriften, klar, wird auch für Autos geworben. Für kleine Autos halt. Zweitwagen. Einkaufswagen. Kinderwagen. Aber doch nicht für richtige Autos. Autos sind Männersache. Frauen können doch nicht einmal Marken unterscheiden. Oder gar Modelle?

So in etwa mag die Werbewirtschaft denken. Und sicherlich kann sie ihre Vorurteile mit Wissenschaft begründen. Forschung, für deren Ergebnisse sie zahlt. Auftragswissenschaft.

BMW jedenfalls wagt sich mit einer Doppelseite für einen fetten BMW in die aktuelle Ausgabe der ELLE. Ist das der Durchbruch der Werbe- oder Autozunft? Für welches Modell wirbt denn BMW in der Anzeige? Ähem, das kann Mann kaum erkennen. Ist das ein 3-er? Oder doch ein 5-er? Das ist auf dem Werbemotiv nicht klar zu sehen. Ist aber frau auch egal. Um was geht es denn da, in der BMW-Anzeige?

"Wir denken auch beim Rückwärtsfahren voraus", heißt die Headline. Ja, richtig interpretiert, es geht um das Einparken. Weil Zielgruppe Frau. Echt wahr, BMW will Frauen ernsthaft damit überzeugen, einen BMW zu kaufen, weil man damit besser einparken kann. Motorisierung ist völlig egal, auch Spritverbrauch, Sicherheit oder Anzahl von Sitzen oder Schminkspiegeln. BMW geht es um "mehr sehen", "besonders in unübersichtlichen Situationen". Abgebildet ist ein einparkendes Fahrzeug - in einer klar übersichtlichen Situation.

BMW weiß eben, was Frauen wünschen: eine Waschmaschine.

Samstag, 16. Juli 2011

Mail-Check - Haare weg

Wird man von seinem freundlichen Kollegen oder Nachbarn vollgequatscht, weiß man: Der- oder Diejenige war zu lange nicht mehr beim Friseur. Während sich der Amerikaner auf der Couch bei seinem Psychiater die Seele leert, zieht der Deutsche meist seinen Friseur vor.

Mutmaßlich kann das dem Haardesigner bei seinem künstlerischen Schaffen ziemlich auf den Fön gehen. Und da Friseure mit Schere und Rasiermesser durchaus bewaffnet sind, möchte man sich nicht ausmalen, wie das Werk eines überreizten Haarmetzlers enden könnte.

So kam der Friseur Brändle aus dem braven Winnenden auf die Idee, seinen Kunden einfach ein iPad in die Hand zu drücken. In einer Werbeanzeige heißt es: "Wir stylen Ihre Frisur. Sie checken Ihre Mails. Kaufen ein oder schauen einen Film." Zu deutsch: "Sie halten die Klappe!"

Einzige Nebenwirkung: Man wird weiterhin von freundlichen Kollegen und Nachbarn vollgequatscht - auch wenn sie beim Friseur waren.

Mittwoch, 13. Juli 2011

Hochgeistige Menschenverachtung

Schade: Ausgerechnet die Wochenzeitung „Zeit“, bislang hochgeistige Delikatesse für Intellektuelle, versucht sich in Dossiers, die unterhalb der Kante eines Stammtisches liegen, etwa durch Täter-Heroisierung (damals beim Amoklauf Winnenden), Frauenfeindlichkeit (Kachelmann-Prozess) und Diffamierung mit rassistisch anmutenden Nebenwirkungen (Fall Strauss-Kahn).  
Man muss es selbst lesen, weil man es kaum glauben kann, was die journalistisch so wichtige „Zeit“ schreibt. Mit folgenden Worten wird beschrieben, wie das mutmaßlich vergewaltigte Opfer wohnt: „Die Namen an den Klingelschildern (…) lauten Noel, Gangadeen, Gomez, Borgeson. So klingen Namen von Zugezogenen und Eingewanderten. Von Taxifahrern, Verkäuferinnen, Reinigungskräften. Aber auch Namen von Drogendealern, Geldwäschern, Betrügern. Es ist der Klang der Bronx (…). Wo Legal und Illegal Wand an Wand leben.“
Damit sagt die aktuelle Ausgabe der „Zeit“, dass Zugezogene ganz unten sind. Ganz unten wie auch Taxifahrer und Reinigungskräfte. Wie Dealer und Betrüger. Und damit belegt die „Zeit“, dass das Opfer lügt. Und dass es letztlich an seiner Misshandlung selbst schuld sei. Das Opfer ist schwarz, eine Zugezogene, die ganz klar aus dem Umfeld von Betrügern komme, eine, Vorsicht Zitat, „afrikanische Asylantin, die einen Weg aus ihrer Armut sucht“. Solche Sätze würde sich noch nicht einmal ein rassistischer Kleingeist erlauben.
Das vermutliche Opfer habe also alles nur inszeniert, behauptet die angesehene Hamburger Wochenzeitung einfach mal so. Und habe alles von vorneherein geplant. Von „offenbar krimineller Energie“ spricht „Zeit“-Herausgeber Josef Joffe, um sich wenige Zeilen später gegen „schändliche Vorverurteilungen“ auszusprechen, also gegen seine eigene Glaubwürdigkeit. In einem Fall, in dem es um Lügen geht. Darum, dass bei einer jungen Frau gesammelte Märchen aus ihrer Vergangenheit zusammengetragen wurden, die nichts mit der mutmaßlichen Vergewaltigung zu tun haben – alte Lügen aus alten Kontexten, wie sie bei jedem Menschen problemlos gefunden werden können. Und darum, dass die nachweisbaren Lügen eines möglichen Täters, die unmittelbar mit dem Fall zu tun haben, plötzlich keine Bedeutung mehr haben.
Weil die betroffene Frau eben aus einem schwarzen Lügen-Milieu stammt, das die „Zeit“ so beschreibt: „Wer vor (ihrem) Haus in der Bronx steht, sieht eine dicke schwarze Frau, die sich hoch oben schimpfend aus dem Fenster lehnt.“ Selbst ein SUV, der dort mitten auf der Straße stehe, mit laufendem Motor, sei schwarz. Und die Wohnungstüren seien schwarz gestrichen.
Ganz gleich, wer wirklich lügt, ob Strauss-Kahn oder sein Opfer. Ein Opfer gehört geschützt. Den vollen Namen nennt man nicht. Die Adresse nennt man nicht. Und man berichtet neutral über etwaige Lügen beider Seiten. Nicht nur über eine Seite. Schon gar nicht ausschließlich über die mutmaßlichen Lügen eines Opfers.
Die „Zeit“ macht den mutmaßlichen Täter Dominique Strauss-Kahn zum Opfer. Der Arme musste schon als Elfjähriger ein Erdbeben in Agadir überleben. Ein Mann „mit der Ausstrahlung eines Menschen, der an das Leben glaubt“, der in Paris mit Intelligenz und Witz bezauberte. „Gutes Essen, beste Weine“ wird im selben Kontext genannt – und im selben Satz – wie „Frauen, immer wieder die Frauen“. Klingt wie ein legitimer Nachtisch, den er sich, der Genießer, einfach nehmen darf. Darf er auch, wenn es sich nicht um eine Vergewaltigung handelt.
Dass ein weiteres mutmaßliches Strauss-Kahn-Opfer den Mut findet, jetzt, in dieser Aussichtslosigkeit, auch Anzeige wegen einer versuchten Vergewaltigung gegen Strauss-Kahn zu erstatten, tut die „Zeit“ ab mit den Worten: „Stoff für Spekulationen: (…) Arbeitet Banon (die Klägerin) nicht seit Kurzem für eine Website von Sarkozy-Unterstützern?“
Eine Anmerkung sei erlaubt: Man stelle sich ein Haus vor, irgendwo in Deutschland. Die Namen an den Klingelschildern lauten di Lorenzo, Mascolo und Kalka. So klingen Namen von Zugezogenen und Eingewanderten. Von Taxifahrern, Verkäuferinnen, Reinigungskräften. Aber auch Namen von Drogendealern, Geldwäschern, Betrügern. Es ist der Klang der Bronx. Wo Legal und Illegal Wand an Wand leben. Sind das zweitklassige Menschen? Kann man diesen Menschen vertrauen, kann man ihnen glauben?
„Zeit“-Herausgeber Joffe jedenfalls hat ein Glaubensproblem: Er parallelisiert Literatur wie Effie Briest und Madame Bovary mit dem „sündigen Sex“. Ohne zu merken, dass er dabei das „Fremdgehen“ thematisiert – was doch ein ganz anderes Thema ist als der Vorwurf einer brutalen Vergewaltigung.

Definition von Vergewaltigung:
Vergewaltigung ist nach "Duden Recht" die Nötigung zum Beischlaf oder zu ähnlichen sexuellen Handlungen, die das Opfer besonders erniedrigen, wobei diese mit Gewalt, durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer dem Täter schutzlos ausgeliefert ist, erfolgen kann[1]. Eine Vergewaltigung bedeutet eine massive Verletzung der Autonomie, des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung und der psychischen Integrität des Opfers und hat entsprechend gravierende psychische Folgen. Die juristische Bewertung ist je nach Land unterschiedlich. In Deutschland wird eine Mitschuld der betroffenen Person juristisch verneint.
Quelle: Wikipedia

Freitag, 1. Juli 2011

Zukunftslose Vergangenheit eines Trendforschers

Er ist eine Koryphäe in der deutschen Trendforschung. Jeder Werber, jeder Markenmacher, jeder Medienmensch kennt ihn, schätzt ihn, verehrt ihn: Peter Wippermann gilt als das Urgestein unter Trendforschern, der vor zwei Jahrzehnten gemeinsam mit Matthias Horx das Trendbüro in Hamburg gegründet hatte.

Wie aber wird man Trendforscher? Man wird Bäcker, Maurer, Rennfahrer. Von mir aus auch Top-Model, Politiker oder Clown. Aber Trendforscher? Der Papa von Peter bei den Wippermanns jedenfalls wollte damals, dass der Sohn was Gescheites lernt. Was Handfestes. Was mit Zukunft. Und so ging der kleine Peter W. in die Lehre. Er zog sie durch. Bis zum Ende. Dann durfte er sich Schriftsetzer nennen.

Einziges Problem: Bald schon nach seiner Ausbildung war es vorbei mit der Zukunft. Den Beruf des Schriftsetzers gab es plötzlich nicht mehr.

So kam es, dass Peter Wippermann seinen Blick in die Zukunft schärfte. Um schnell den Trend zu erkennen, dass man damit Geld verdienen kann. Die Urkunde seiner Ausbildung hat er noch. Sein persönliches Dokument einer Vergangenheit ohne Zukunft, die ihm eine Zukunft mit Vergangenheit beschert hat. Und doch ist am Ende der Wunsch des Vaters in Erfüllung gegangen: Peter Wippermann macht was mit Zukunft!