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Montag, 28. März 2011

PR der Ahnungslosen

Sie hauen in die Tasten, ohne groß über den Sinn dessen nachzudenken, was herauskommen soll: digitale Pressefuzzis. Oder pressige Digitalfuzzis. Entsprechend trifft jede Menge Babylonisch-Sprachwirriges in der Redaktion ein.

Heute kam eine Meldung an, die ernsthaft mit folgender Headline locken wollte:
"Instaprint instaprints your instaparty instagrams instantly".
Um was es in dieser Meldung ging? Keine Ahnung. Irgendwie um "filter-tastic social photo apps". Absender der Meldung ist techland.time.com.

Mehr denn je bewundere ich unsere Redakteure im Digital-Ressort. Ihr Job besteht aus extrem anspruchsvollen Übersetzungsarbeiten. Es sind quasi transsilvanische Translation-Transmissionsriemen-Transporter. Respekt!

Freitag, 25. März 2011

Der Targeting-Test: Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?

Wer mehr über sich erfahren will, kann zum Psychiater gehen - oder, viel einfacher, schneller, moderner, mal auf den Websites schauen, welche Werbung einem begegnet. Denn Targeting zeigt einem, wer man ist. Targeting ist schließlich das Ergebnis eines hochtechnisierten Cookiekrümmelaufspürverfahrens. Heißt: Alle Spuren, die man so gemein im Internet hinterlässt, fügen sich so zusammen, dass man mit getargeter Werbung individualisiert angesprochen wird.

Blickt man in unserer Redaktion einem Kollegen, männlich, weit überdurchschnittlich intelligent, technisch versiert, vielseitig interessiert, am Computer über die Schulter, blickt man auf die Werbung, die das Targeting für ihn ausgesucht hat: "Jeder 5. Mann über 40 leidet unter Erektionsproblemen" - per Click geht es dann zu einem Viagra-Produkt.

Einer langjährigen Mitarbeiterin, unglaublich professionell, schnell und fleißig, stets auf der Jagd nach News, testiert das Targeting folgende Werbung: "Wie weckt man den Büroschläfer wieder auf?" - ein Hinweis auf den Energiedrink Red Bull.

Nachdem ich von diesen wertvollen Charakteristika meiner Kollegen erfahren habe, dachte ich mir: Mach doch auch mal den Targeting-Test. Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?
Die Antwort: Mir wurde eine Silikon-Dauerbackmatte für 9.99 Euro empfohlen. Von Tchibo. Vielleicht, weil ich so überhaupt nicht backen kann...

Mittwoch, 16. März 2011

Nutellas neue Kleider

Eine wirklich schöne Umhängetasche von Kappa. Unser einstiges Aupair, ein Immergutelaunemensch, ist glücklich.
"130 Punkte"
"Wie bitte?"
Und ein wirklich schönes Polo-Shirt von Kappa.
"Nur 90 Punkte."
Wir verstehen nicht.
Aber unser Ex-Aupair klärt auf: Nutella hat grad eine Aktion. Auf jedem Deckel sind zwei Sammelpunkte. Und diese könne man in Kappa-Produkte einlösen. Sports Meets Style.
Nun entdecken wir jede Menge weitere Kappa-Dinge.
"Alles von Nutella", strahlt die junge Frau. Auch ihren Freund hat sie neu eingekleidet.
Das müssen Lastwagen von Nutella-Gläsern gewesen sein, überlegen wir. Sie ist doch nicht etwa auf den billigen Marketingtrick von Ferrero hereingefallen, die Arme?
Nicht wirklich: Unser einstiges Aupair hat neulich schlicht Crėpes verkauft. An einem Stand. Und fast jeder wollte Nutella drauf. Am Ende waren es einige hundert Gläser.
Eine Punktlandung.

Donnerstag, 10. März 2011

Spiegel: Winnenden scheitert an Uschi

Anruf vom "Spiegel": "Wir wollen gerne ein Interview mit Ihnen machen, zu Ihrem Winnenden-Buch."
"Das finde ich aber honorig von Ihnen, dass Sie das vorhaben, trotz meiner starken Kritik am Spiegel..."
"Ähem, ich habe das Buch noch nicht gelesen. welche Kritik denn?"
"Na, zum Beispiel, dass Sie den Täter auf's Cover genommen haben. So was macht man nicht!"
"Da haben Sie auch Recht!", so der Spiegel-Journalist.
Um 16 Uhr soll das Interview stattfinden.
Kurz davor eine SMS: Leider müsse man das Gespräch absagen, es sei ein anderes Gespräch hereingekommen.

Was war dem Spiegel nun wichtiger als die kritischen Winnenden-Worte zu Medien, Waffen und Politik? Wer kam also auf die Aufmacher-Seite der Ressorts Gesellschaft oder Medien?

Entweder war es Uschi, genauer gesagt der Briefverkehr mit Uschi Obermeier, Jimi Hendrix & Co, eine Briefkollektion, die Hellmuth Karasek in ein Buch gepresst hat - Seite 52 im aktuellen Spiegel.

Oder es war Uschi, auf die sich nichts reimt. So steht es wohl auf T-Shirts, die sich Unsympath Mario Barth hat patentrechtlich schützen lassen, obgleich der Spruch so gar nicht seine Idee war (Seite 139). Uschi hat jedenfalls mit Winnenden eines gemein: Nichts reimt sich auf... Uschi wie Winnenden.

Sonntag, 6. März 2011

Die Situation in Winnenden vor dem Jahrestag

Ein bisschen herrscht hier in Winnenden Angst vor dem Jahrestag. Am Freitag ist es zwei Jahre her, dass der sogenannte Amokläufer 15 Menschen erschoss. Dieses Jahr soll alles stiller zugehen als vor einem Jahr, als noch Bundespräsident und Minister kamen. Klar, Gedenkgottesdienste wird es auch in diesem Jahr geben. Und eine kleine Gedenkfeier, diesmal mitten in der Kleinstadt, am Marktplatz. Und die Glocken der Stadt werden läuten. Ab 9.33 Uhr, was hier sehr umstritten ist. Denn die Hulgigung an die exakte Tatzeit ist letztlich auch eine Heroisiering der Tat.

Gut, dass diese Woche Ferien sind. Entsprechend ist an den Schulen nichts geplant. Und die Albertville-Realschule hat es schon fast geschafft: Gleich einer Metapher ist der Rohbau vor der bekannten Fassade des Gebäudes fertig. Neues drängt sich vor die schrecklichen Erinnerungen. Das kann nur gut sein.

Dort, wo bis vor wenigen Wochen noch die Container der psychologischen Betreuung standen, an der Stadthalle, gegenüber der Albertville-Realschule, da hat sich in den letzten Tagen ein Zirkus einquartiert. Das mit Kindertränen gefüllte Grau entwich dem mit Kinderlachen gefüllten Bunt. Das Leben geht weiter. Geht es?

Mich sprach eine Mutter an, als ich mein Winnenden-Buch vor kleinem Publikum in Winnenden vorstellte. Ihr Sohn, sagte sie, sei damals in dem Klassenzimmer gewesen, wo es die vielen ermordeten Schüler gab. Jetzt, sagt sie, sei er so weit. Der Sohn gehe freiwillig zur psychiatrischen Behandlung. Es sei der größte Fortschritt seither. Das Seither ist nun zwei Jahre alt. Mit niemandem mehr könne die Familie sprechen, wenn es um das Winnenden gehe. Nicht einmal Verwandte könnten heute noch das Wort Amoklauf hören, beklagt die Mutter. Und Freunde schon gar nicht. Deshalb freue sich die Mutter so, dass es das Winnenden-Buch gebe, "weil ich mich nun nicht mehr so allein fühle". Weil sie nun wisse, dass der ganze Ort, alle Menschen so betroffen wären.

Gehen die Kinder morgens zur Schule - oder mittags zur Freundin - rufen sie lautstark: "Ich liebe dich" als Abschiedsgruß durchs Haus. "Warum macht ihr das denn immer?", fragen wir Eltern. "Weil man nie weiß, ob es die letzten Worte sind, die wir miteinander gesprochen haben", sagt meine Tochter. "Wir haben in der Schule darüber diskutiert. Man darf nie im Streit auseinandergehen..." Diese Sätze fielen heute. Nicht vor ein, zwei Jahren.

Ein Nachbarspaar sprach mich an. Ganz liebe, ältere Menschen. Weil ich ein Buch über Winnenden geschrieben habe, wollten sie mir ihre Geschichte erzählen. Wie sie damals im Schwimmbad waren, im Wunnebad. Und dann seien all die Kinder ins Bad geströmt. Manche seien blutig gewesen. Das ältere Paar hätte natürlich nicht gewusst, was denn passiert sei. Dann die Sirenen, die Polizei, die Krankenwagen, die Hubschrauber... Erst später wussten sie, dass alle unmittelbar betroffenen Schüler ins Schwimmbad geflüchtet waren.

Es war das erste Mal, dass mir die Nachbarn ihre Geschichte von damals erzählt hatten. Jeder hier hat seine Geschichte. Jeder weiß noch exakt, was er getan hat, damals. Und die Wunden der Erinnerung reißen immer wieder auf.

Ob die Presse jetzt wieder über den kleinen Ort einfallen wird, so wie damals? Diese Frage stellen sich viele Menschen hier. Einige Journalisten haben massiv Fehler gemacht, damals. "Rund um den Ort des Massakers sieht es aus wie auf einem Rummelplatz. Hunderte von völlig schockierten Kindern, Vätern und Müttern. Rummel rund um Blumen, Kerzen, Trauer. Eine von illustren Medien eingekreiste Leere. Die Fassungslosigkeit wird umzingelt, um sie aufzusaugen. Vampirartig werden Trauernde überfallen, angezapft, in ihrer Intimsphäre gestört", beschrieb ich es in meinem Buch, der "Tatort, Futterstelle für Journalisten."

Vielleicht haben Medien ja aus Winnenden gelernt. Täter müssen nicht auf Titelseiten erscheinen. Schüler, die unter Schock stehen, müssen nicht interviewt werden. Beerdigungen müssen ihre Privatsphäre haben dürfen. Da muss nicht heimlich über Friedhofsmauern fotografiert oder gefilmt werden. Natürlich, das muss man zugeben, haben die meisten Journalisten sauber, respektvoll gearbeitet. Einige standen selbst unter Schock, als sie hier in Winnenden angekommen waren. Ein Redakteur hat mir davon ausführlich berichtet. Denn auch Journalisten sind in der Regel auf so eine Ausnahmesituation nicht vorbereitet. Niemand ist es.

Dienstag, 1. März 2011

Winnenden-Buch: eine Selbstkritik

Ok, das Nachwort meines Buches hätte wohl besser das Vorwort sein sollen. Dann hätte auch der flüchtig lesende Kritiker gemerkt: "Sämtliche Texte entstanden unter dem unmittelbaren Eindruck des jeweils Erlebten. Diese Direktheit, oft auch Meinung, ist beabsichtigt. Je reflektierter die Texte wären, desto distanzierter wären sie."

Es geht um das Buch "Winnenden. Ein Amoklauf und seine Folgen". Erschienen vor wenigen Tagen. Die meisten Kritiker haben es verstanden. Etwa Christine Lübbers. Oder Daniela Remus vom NDR.

Was mich überrascht ist, wie viele Journalisten nicht mit Kritik umgehen können. Weil ich in dem Buch einige wenige Kollegen an den Pranger stelle - deren Fehler ich konkret benenne - verteufeln manch Redakteure reichweitenstarker Medien das Buch als "pauschales Abwatschen der Medien".

Ich hoffe, das Buch regt den einen oder die andere zum Denken an. Und ich hoffe, es trägt zur Meinungsbildung bei. Und zur Diskussion. Über die Verantwortung der Medien etwa.

Wer sich einen Eindruck der Texte verschaffen will, findet bei DVA eine Leseprobe.